Fehlalarm: Die Nervensägen vom Notruf (sh:z - 25. März 2009)
Sie nerven ohne Ende. Rund um die Uhr, Tag und Nacht. Sie fragen nach der Zeit. Nach einer günstigen Zugverbindung. Sie pöbeln rum. Sie geben falschen Alarm. Manchmal legen sie auch einfach nur wieder auf. Wenn in den Einsatzleitstellen von Polizei und Feuerwehr der Notruf blinkt, steckt dahinter nicht immer ein Einsatz, sondern zuweilen auch ein schlechter Scherz. Notrufmissbrauch. Kein Spaß für den, der über Einsätze entscheiden muss. „Manchmal“, klagt ein Polizist, „ist es die reinste Seuche.“

Dabei war alles so gut gemeint gewesen. Es gab bundesweite Sammelaktionen, nach denen ausgemusterte Mobilfunkgeräte als mobile Notrufsäulen bevorzugt an Senioren verschenkt wurden. Jederzeit und überall, so die dahinter stehende Idee, sollte es ihnen ermöglicht werden, um Hilfe zu rufen. Simkartenfrei – also ohne Vertrag. Per Gesetz wurden die Telefonnetzbetreiber verpflichtet, das technisch zu ermöglichen.

Doch die Sache ging derartig nach hinten los, dass der Gesetzgeber jetzt die Reißleine riss. Ohne Karte nämlich ließ sich kein Anrufer lokalisieren – und das hätten hunderte Dienststellen bundesweit liebend gern gemacht. „99,9 Prozent der über diese Telefone eingehenden Notrufe sind Fehlalarme“, sagt Carsten Herzog, Chef der Flensburger Berufsfeuerwehr. Zu seiner Erleichterung wird damit bald Schluss sein. „Die Notrufverordnung ist wieder geändert worden. Die Telefongesellschaften müssen ihre Technik nur noch umstellen.“ Dann sollte mehr Ruhe sein auf den Leitstellen. Was nicht bedeuten muss, dass sich Feuerwehr und Polizei dann ausschließlich ihren Aufgaben zuwenden können. „Na ja,“ sagt Herzog. „Man hat da immer ein paar Kandidaten, die regelmäßig auffallen.“

112 wird auch ohne den Schutz der Anonymität ohne Grund gerufen. Falsche Alarmierungen sind zwar nicht wie die Klingelstreiche der Regelfall, aber fünf, sechs Mal im Jahr, sagt Herzog, ist es dann so weit: Das Team vom Rettungswagen steht vor einem Fall, der keiner ist. „So bis zu sieben Stammkunden schleppt jeder Rettungsdienst mit sich herum“, sagt Herzog. „Und es wachsen auch immer wieder welche nach.“

In früheren Jahren hieß so ein Fall oft Bernd T. Über Jahre lieferte er sich mit den Rettungsdiensten ein absurdes Duell. Mal krümmte er sich vor (scheinbaren) Schmerzen auf dem Boden eines Supermarktes, mal tauchte er wortlos mit einem Zettel (Brauche dringend Notarzt!) am Nachtschalter einer Tankstelle auf, mal lag er schreiend auf einer Parkbank, mal ließ er völlig verunsicherte Straßenpassanten unter 112 Hilfe holen – Bernd T. , wegen seines seriösen Auftritts auch „Generaldirektor“ genannt – fand Dutzende von Wegen, Sanitäter und Notärzte nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Da konnte der für den Einsatz zuständige Disponent die Erkrankung des Stammkunden hinterfragen wie er wollte – am Ende musste er das Team immer schicken.

Bernd T. war bestens auf den Einsatz vorbereitet und lieferte detailgenaue Krankheitsbilder. Bis 2005 hatte er so hunderte von Einsätzen ausgelöst und den Steuerzahler ein kleines Vermögen gekostet. T. trieb es so weit, dass Rudolf März, damals Leiter der Berufsfeuerwehr, eine Verurteilung wegen Notrufmissbrauchs erreichte.

Nach seiner Haftstrafe war T. wieder da, trieb zunächst die Kieler Rettungskräfte in den Wahnsinn und schickte sich 2008 an, sein Werk in Flensburg fortzuführen. Er kam nicht weit. Zwischen Dezember und Januar provozierte er noch fast 15 Einsätze. Im Februar diesen Jahres starb er mit 62 Jahren – im Krankenhaus ohne akuten Befund. Flensburgs Rettungssanitäter sind im Nachhinein heilfroh, dass sie jedes Mal zur Stelle waren, wenn Bernd T. gerade mal wieder keine Hilfe brauchte. „Irgendwann“, sagt Herzog, „ist es dann eben doch ein echter Notfall.“